Der Einsatz von Twang im modernen Gesang
Wenn ich im Gesangsunterricht auf das Thema «Twang» zu sprechen komme, erlebe ich meistens sinngemäss eine dieser beiden Reaktionen: «Oh, Twang, cool, das ist doch dieses tolle Wundermittel!» Oder dann: «Uh, Twang, das ist doch dieser schreckliche Stimmklang, den ich sicher nicht in meiner Stimme will!».
Gleich vorneweg: Twang ist weder ein Wundermittel, noch muss er schrecklich klingen.
Wie auch sonst im Leben, ist erstens alles eine Frage der Dosierung. Die Dosis macht das Gift… Und zweitens gibt es Tonlagen im modernen Gesang bei denen der Einsatz von Twang gesangstechnisch gesehen optional ist und wo er eine Frage des persönlichen Geschmackes und des gewünschten Ausdruckes ist.
Aber: es gibt auch bestimmte Tonlagen und Lautstärken, bei denen Twang nicht mehr optional ist, sondern wo er zu einer gesangstechnischen Notwendigkeit wird, um unangestrengt die gewünschte Power zu erreichen.
Doch der Reihe nach:
Was ist Twang eigentlich?
Resonanzräume kann man auf zwei Arten nützen: entweder kann man sie öffnen und gross machen, um einen offenen, grossen und vollen Klang zu erhalten.
Oder man kann sie komprimieren, um einen erhöhten Druck und damit eine erhöhte Power zu erhalten.
Beides hat natürlich seine Vorteile und seine Nachteile… Deshalb kombiniert man am besten die beiden Sachen zusammen…
Schau dir mal verschiedene Blasinstrumente an. Egal, ob du eine Trompete, ein Saxophon, eine Tuba, ein Waldhorn oder eine Posaune hast: Das Instrument ist am Anfang beim Mundstück immer zuerst eng und erst gegen Ende des Instrumentes wird der Durchmesser immer weiter. Das ist natürlich kein Zufall…
Und genau dieses akustische Phänomen können wir Sänger uns auch zunutze machen. Oberhalb der Stimmlippen komprimieren wir den Ton und weiter oben, öffnen wir unsere Räume. Und ja, wir brauchen beides!!!
Auch wenn ich es in der Praxis immer wieder erlebe, dass entweder nur «öffnen, öffnen, öffnen!» oder dann «twangen, twangen, twangen!» gepredigt wird.
Und nochmals zu den Blasinstrumenten: Ein Blasinstrument wie die Tuba, welche insgesamt ein grösseres Rohr hat, klingt eher weich und offen. Eine Trompete, welche insgesamt ein engeres Rohr hat, klingt einiges «schärfer». Dieses akustische Phänomen «weites Rohr = weicher Klang» und «verengtes Rohr = schärferer Klang» können auch wir Sänger uns zunutze machen.
Vorurteile über Twang
Eines der grössten Vorurteile über Twang ist, dass Twang in der Nase erzeugt wird. So drücken Sänger dann ihren Stimmklang in die Nase, was selten schön klingt. Und ja, es gibt tatsächlich diverse Beispiele von Sängern, welche nasal singen. Ich empfehle aber sehr, Twang ohne «näseln» zu erzeugen!
Woher kommt dieses Missverständnis, dass Twang in der Nase erzeugt wird?
Einerseits vom Klang her selber: Twang klingt zwar sehr weit vorne in der Maske, aber er wird korrekterweise nicht durch die Nase produziert.
Andererseits kommt dieses Vorurteil sicher auch von der Bezeichnung selber: wenn man das Wort «Twang» googelt, landet man ziemlich schnell bei «näseln», «nasaler Klang» usw.
Ich wiederhole: Produziert wird Twang oberhalb der Stimmlippen durch eine Komprimierung des Kehltrichters.
Ich finde übrigens, dass das Wort «Twang» sehr lautmalerisch beschreibt. In welche Richtung der Klang geht.
Verwendete Terminologie
Ich erlebe Sänger, welche bei der Erwähnung des Wortes «Twang» sofort nasal werden, weil sie das unter diesem Begriff assoziieren. Da brauche ich dann meistens das Wort «Metall» dafür oder «Komprimierung», welche für mich gute Synonyme sind. Wenn jemand eine negative Assoziation zum Wort «Twang» hat, verwende ich ebenfalls einen dieser Begriffe.
Beispiele von Sängerinnen, welche oft viel Twang in ihrer Stimme verwenden
Dazu gehören unter vielen anderen: Amy Winehouse, Lady Gaga, Rihanna, Adele, Anastacia, Christina Aguilera usw.
Songbeispiele zum Anhören:
- «Fire under my feet» von Leona Lewis
- «A million reasons » von Lady Gaga
- « Fighter » von Christina Aguilera
- « Valerie » von Amy Winehouse
- «I’m outta love» von Anastacia
- «Diamonds» von Rihanna
Wann setze ich Twang ein?
Wann und wie viel Twang eingesetzt wird, hängt von mehreren Faktoren ab:
- LAUTSTÄRKE / POWER: Wie laut oder wie leise will ich singen? (z.B. auch in der Tiefe)
- EMOTION: Welchen Ausdruck und Stimmklang will ich mit meiner Stimme rüberbringen? (z.B. zärtlich oder genervt)
- TONHÖHE: Es gibt Tonhöhen, auf welchen Twang optional ist, und es gibt solche, auf welchen es eine gesangstechnische Notwendigkeit ist.
- REGISTER: Man kann sowohl in der Bruststimme, wie auch in der Kopfstimme Twang einsetzen. Aber: singe ich mit meiner Frauenstimme beispielsweise ein c’’ mit meiner Belting Voice, MUSS Ich Twang einsetzen. Singe ich den gleichen Ton in der Kopfstimme, ist Twang optional, je nach gewünschtem Ausdruck.
- BELTING: Bei hohen Belting-Tönen ist Twang ein gesangstechnisches MUSS!
- MIKROFON: singe ich mit oder ohne Mikrofon? Hast du beispielsweise einen tiefen Song und singst ihn mit Mikrofon, musst du keinen Twang verwenden. Musst du ihn hingegen ohne Mikrofon singen, brauchst du ein bisschen Twang für deine Tragkraft, damit du nicht anfängst zu drücken.
- KOMBINATION: Das Zusammenspiel der obigen Faktoren, entscheidet über die verwendete «Twang-Dosis».
- Immer, wenn du etwas mit einem gewissen «Biss» ausdrücken möchtest, sei das bei eher «aggressiven» Songs (von der Textaussage her) oder bei Uptempo-Songs, die genügend Power brauchen.
Belting Voice und Twang
Ich möchte dem Thema Belting Voice einen separaten Abschnitt widmen, da Twang beim Belten SO wichtig ist. Je höher der Belting-Ton, desto mehr MUSS der powervolle Stimmklang durch Twang erzeugt werden und nicht durch Kraft und Masse. Das Erlernen von Twang ist also für alle Sängerinnen, welche ihre Belting Voice gesund einsetzen möchten, ein absolutes MUSS!
Wie erzeuge ich Twang?
Stimmtechnisch gesehen ist Twang wie bereits erwähnt eine Komprimierung oberhalb der Stimmlippen, auch «Verengung des Vokaltrichters» genannt.
Wenn ich dich beauftrage: «spann deinen Bizeps an», kannst du das willkürlich tun.
Die oben erwähnte Komprimierung kannst du aber nicht einfach willkürlich tun.
Deshalb macht es Sinn, Twang über bestimmte Silben, die ihn automatisch aktivieren, zu erlernen. (zuerst mit Ubungen)
Oder du kannst über bestimmte Emotionen und Hilfsvorstellungen vorgehen, die du aus dem Alltag kennst und bei denen Twang automatisch entsteht.
Mit der Zeit wirst du dieses Twang-Gefühl so gut kennen, dass du es «auf Abruf» erzeugen kannst.
Twang-Silben
- Yeah, yeah, yeah! (that’s cool!) American denken, NICHT in die Breite gehen!
- Again n’ again n’ again – genervt
- Nay, nay, nay – kleines trotziges Mädchen, welches «Nein» sagt. (Aussprache wie englisch: «neigh»)
- Ay, ay, ay, ay, ay… (Vorstellung : tratschende Nachbarinnen)
- Nä, nä, nä, nä, nä, nä! (wie hänseln früher in der Schule)
- Gwüa gwüa gwüa – die kleine freche Ente! (nicht zu sehr in die Nase drücken!)
- Eyyy! (wie «Eyy, brother!»)
- Hey! (Aufpassen «H»)
Anmerkung: Da Klang immer schwer in Worte zu fassen ist, werde ich sicher noch ein paar Videos mit Klangbeispielen auf meinem Youtube-Kanal «Jasmin Schmid Vocal Coach» veröffentlichen.
Emotionen, um in den Twang-Klang zu kommen
Oft helfen auch emotionale Bilder, um den Twang-Klang zu kommen. Das ist von Schülerin zu Schülerin unterschiedlich. Das können Bilder sein wie «frech», «genervt», «schnoddrig», «rotzig» usw. Oder im Extremfall auch mal «singe hässlich»…
Sicher ist es nie lieb, sanft, schön oder nett und brav.
Die Twang-Persönlichkeit
Ich erlebe in der Praxis immer wieder, dass es Schülerinnen gibt, welche den Twang-Klang sehr leicht finden und andere tun sich sehr schwer damit. Meistens ist das verbunden mit einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur. Wenn jemand eben eher auf der Seite «lieb und nett und brav» ist, fühlt sich dieser neue Klang oft sehr ungewohnt an. (bis man plötzlich den Spass daran entdeckt…)
Der «Twangometer»
Dieses Wort ist eine Erfindung von mir… Ich verwende es im Unterricht, um die unterschiedlichen Dosierungen von Twang zu benennen. Du kannst dir den Twangometer wie einen runden Thermometer vorstellen, welcher eine Skala von 1 – 10 hat. 1 wäre kein Twang und 10 sehr viel Twang. Und dazwischen alle Abstufungen.
Das kann beispielsweise so ablaufen: wir hören uns einen Song an und ich frage meine Schülerin «mit wie viel Twang singt diese Sängerin?» und die Antwort von ihr ist z.B. «sie singt auf Stufe 8». Und ich frage zurück: «auf welcher Stufe hast du vorher diese Phrase gesungen?». Und die Schülerin stellt fest: «ich war vielleicht auf einer 4». Das heisst, der Twangometer kann gut als Hilfsvorstellung eingesetzt werden um die Dosierung von Twang zu «messen».
Anmerkung: Wie bereits erwähnt, ist Twang manchmal optional und manchmal ein gesangstechnisches Muss… Beim ersten Fall kann die Gesangsschülerin natürlich so viel oder so wenig Twang einsetzen, wie es ihr persönlich gefällt.
Die häufigsten Fehler bei der Verwendung von Twang
- Klang in die Nase drücken, den Twang in der Nase zu erzeugen. (> mit «Nasentest» kontrollieren.)
- Da Twang sehr powervoll klingt, haben viele die Tendenz mit zu viel Druck zu twangen. Es braucht wenig Luftdruck! Eher das Gefühl von «Klang zu mir ziehen, einsaugen», «genervtes Selbstgespräch» . Weniger Druck führt fast immer zu mehr Twang!!!
- Lautstärke: Denk dir Twang nicht zu laut und massig, Weniger ist oft mehr, was die Lautstärke betrifft. Die Power beim Twang wird durch den metallischen und durchdringenden Klang erzeugt, nicht durch viel Masse und grossen Klang.
- Atemfluss stauen: Da Twang eine Komprimierung ist, erlebe ich oft, dass Sänger gleichzeitig ihren Atemfluss stauen. NICHT STAUEN, fliessen lassen.
- Zu breite Mundstellung und zu breiter Klang: Der helle Klang von Twang verleitet viele, zu sehr in die Breite zu singen von der Mundstellung und vcm Klang her. Breit heisst aber eben nicht komprimiert. Denk dir eher die «Biss»-Mundstellung, so als würdest du deinen Zeigefinger hinter die oberen Zähne platzieren. NICHT, als würdest auf etwas beissen.
- Nur Twang (Komprimierung) verwenden und keine Öffnung nach oben. Falls du sehr viel Twang einsetzt und nichts an Öffnung im oberen Bereich, wird der Stimmklang sehr komprimiert, metallisch, scharf, je nach dem «plärrend» und es fehlt ihm an Offenheit und Klang. Es braucht beides!!! Wenn ich mit Gesangsschülern an Twang arbeite, gehe ich beim Einsingen immer so vor: Zuerst Übungen, um Resonanzräume öffnen, v.a. den Nasenrachenraum aktivieren. Und erst DANACH die Übungen für Twang / Komprimierung. Der Sound ist einfach so viel schöner…
- Klangideal und Gewohnheit. Gerade Sänger/innen, welche sehr weich, luftig und sanft singen und sehr häufig auch von der Persönlichkeit eher sanft – oder auch schüchtern sind – haben anfänglich Mühe mit dem Klang. Sie sind es sich einfach nicht gewohnt, dass ihre Stimme so klingt. Oder es klingt ihnen zu «aggressiv», weil sie sich diesen lieben, schönen Klang gewohnt sind. Da hilft es am Anfang entweder zu imitieren und in eine Rolle zu schlüpfen, z.B.: «Ich bin jetzt Amy Winehouse-Imitatorin». Oder oft hilft auch, dass man bewusst mal «hässlich» singt. Nicht selten klappt es beim erwähnten Typ Sängerin, wenn ich sage: «sing mal richtig «grusig» (schweizerdeutsch für «hässlich»)
- Vokale und Vokalfarbe. Wenn du deine Vokale zu sehr öffnest und mit zu dunkler Vokalfärbung singst, wird es mit Twang nicht klappen. Die Klangfarbe soll sehr hell und metallisch sein.
- Negative Assoziation zum Wort Twang. Verwende dann das Wort «Metall» oder «Komprimierung».
- Ungünstige Lage: Falls du noch keine oder nicht viel Erfahrung mit Twang ist, erlernst du diesen am besten zuerst in einer nicht zu hohen Lage, sondern in einer Lage, die dir noch bequem liegt.
Anmerkung: Da Klang immer schwer in Worte zu fassen ist, werde ich sicher noch ein paar Videos mit Klangbeispielen auf meinem Youtube-Kanal «Jasmin Schmid Vocal Coach» veröffentlichen.